Habt ihr euch auch schon einmal Gedanken darüber gemacht, dass Demokratie für unser politisches System ein notwendiger Grundpfeiler ist, nicht aber für unsere Wirtschaft?
Dabei verbringen wir einen Großteil unseres Erwachsenenlebens in der Arbeitswelt in hierarchischen Strukturen. Demokratische Mitbestimmung im Unternehmen? Weitgehend Fehlanzeige. Zwar gibt die Politik die Rahmenbedingungen vor, allerdings stark von Lobbyismus beeinflusst. Dabei findet gerade in der Wirtschaft die Verteilung von Einkommen und Vermögen statt. Arbeits- und Produktionsbedingungen haben zudem massiven Einfluss auf Mensch und Natur.
Wie wäre es also, wenn wir die Wirtschaft demokratisieren und Unternehmen und Investoren direkt verantwortlich gegenüber Mitarbeiter*innen und Konsument*innen wären?
Profitorientierte Wirtschaft: ganz normal
Im realen Kapitalismus stehen in der Regel Kapitalgeber*innen auf der einen und Mitarbeiter*innen sowie Konsument*innen auf der anderen Seite. Die ersteren beschränken sich meist darauf, eine kurzfristige Rendite durch Wachstum und Gewinnausschüttungen zu erzielen. Beispiel: Dividendenausschüttung BMW trotz Kurzarbeitergeld
Problematisch ist auch die Privatisierung von Gewinnen und die Vergesellschaftung von Verlusten. Heißt, in guten Zeiten werden Gewinne an die Aktionär*innen ausgeschüttet, in schlechten Zeiten soll der Staat finanziell einspringen. Beispiel: 9 Milliarden für Lufthansa
Kosten werden aus Effizienz- und Wettbewerbsgründen meist zu Lasten von Arbeitnehmer*innen und der Umwelt eingespart, während Managergehälter und Boni unverhältnismäßig hoch sind. Hinzu kommt, dass Skaleneffekte und der „freie Markt“ zu (Quasi-)Monopolbildungen führen. Beispiele sind Bayer oder Facebook.
Auch das Mantra der Konzerne, der Staat solle sich nicht einmischen, gilt vor allem für Regulierungen, seien es Abgasnorm oder Bankenregulierung, während direkte und indirekte Subventionen mehr als erwünscht wie die Abwrackprämie oder die Bankenrettung nach der Finanzkrise.
In der Zeit zwischen den Wahlen hebelt Lobbyismus de facto das demokratische Prinzip aus. Die (Neben)wirkungen sind bekannt: Die Klimakrise, Ausbeutung von Menschen und Natur, globale Ungleichheit.
Es gibt Alternativen
Gleichzeitig erwartet die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung, dass die Politik mehr für Klimaschutz und für soziale Gleichheit tut. Was fehlt? Eine Wirtschaft, die für den Menschen da ist, die auf Kooperation und Verantwortung basiert. Dachte ich zumindest. Doch es gibt sie schon. Die Rede ist von Genossenschaften und von der Idee der Wirtschaftsdemokratie. Was macht sie so besonders?
Aus Prinzip
Genossenschaften handeln grundlegend anders, nach dem
- Identitätsprinzip: die Mitglieder einer Genossenschaft sind gleichzeitig Mitarbeiter*innen oder Konsument*innen der Dienstleistung
- Prinzip der Selbsthilfe: die ökonomischen, sozialen oder kulturellen Bedürfnisse der Mitglieder stehen im Fokus, und nicht die Rendite externer Kapitalgeber
- Demokratisches Prinzip: jedes Mitglied (Eigenkapitalgeber*in), unabhängig der Höhe der Anteile hat eine Stimme
- Prinzip der Kooperation: Genossenschaften kooperieren überregional (Bsp. Genossenschaftlicher Verbund der Banken)
Was sieht das in der Praxis aus?
Beispiel Energiesektor
Während die Energiekonzerne lange an Kohle- und Atomenergie festhielten, waren es Bürger*innen, die maßgeblich den Ausbau von Photovoltaik und Windkraftanlagen stemmten, für einen effektiven Klimaschutz. Ihr Motto: „dezentral, demokratisch, lokal“. Eine von vielen Akteur*innen sind die Bürgerwerke eG. In ihr haben sich fast 100 lokale Energiegesellschaften genossenschaftlich zusammengeschlossen, die knapp 15.000 Bürger*innen als Mitglieder haben. Die Bürgerwerke vermarkten den gemeinschaftlich erzeugten Ökostrom direkt an Bürger*innen und können sich so am hart umkämpften Energiemarkt behaupten.
Beispiel Landwirtschaft
Landwirtschaftliche Raiffeisengenossenschaften kennt ihr bestimmt. Aber die „Hessische Biohuhn eG“? Mitglieder sind sechs Ökolandwirtschaftsbetriebe und zwei Bio-Schlachter sowie zwei Vermarkter. Sie decken die ganze Produktionskette ab und können durch Synergien und gute Zusammenarbeit den Kostendruck senken. Als durchaus beabsichtigten Nebeneffekt entzieht die Genossenschaft sich durch die eigene Vermarktung dem industriellen Markt, von dem viele landwirtschaftliche Betriebe abhängig sind.
Beispiel Industrie: Mondragon
Selbst in der Industrie funktioniert Genossenschaft. Die Mondragon Cooperativo im spanischen Baskenland hält seit Jahrzehnten mit der internationalen Konkurrenz mit. Knapp 103 Genossenschaften liegen in den Händen ihrer Mitarbeiter*innen und bilden einen genossenschaftlichen Zusammenschluss. In diesem gilt:
- Die Mitglieder wählen das Management und entscheiden über die grundlegende Unternehmensausrichtung.
- Das Top-Management darf nicht mehr als achtmal so viel verdienen wie die am niedrigsten bezahlten Mitarbeiter*innen.
In vergangenen Wirtschaftskrisen stützten sich die einzelnen Genossenschaften der Mondragon Cooperativo gegenseitig. Mitarbeiter*innen verzichteten solidarisch auf Teile ihres Gehalts, um Entlassungen zu vermeiden. Auf eindrucksvolle Weise bilden alle zusammen ein großes wirtschaftliches und soziales Gefüge aus Industriebetrieben von der Halbleiterindustrie bis zu Küchengeräten. Sie betreiben Landwirtschaft, eine Supermarktkette sowie Krankenhäuser für die Mitarbeiter*innen und die lokale Bevölkerung. Der betriebliche Nachwuchs wird in der eigenen Universität ausgebildet. Die genossenschaftliche Bank finanziert die einzelnen Kooperativen und treibt Unternehmensgründungen voran.
Besser demokratisch
Wenn Mitarbeiter*innen und Konsument*innen mehr direkten Einfluss in Unternehmen haben, kann sich auch unsere Wirtschaft insgesamt wandeln. Die Internationale Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen (ILO) kommt zu dem Schluss, dass Genossenschaften das nachhaltigere Geschäftsmodell haben, besser durch Krisen kommen und den Menschen in ihren Regionen zugute kommen. Produktivgenossenschaften wie Mondragon weisen zudem eine höhere Produktivität und höhere Gleichstellung auf als konventionelle Unternehmen.
Wirtschaft umdenken
Ein Umdenken fängt in den Köpfen an. Dazu gehören für mich auch die Fragen: Wie viel Verantwortung übernehme ich an meinem Arbeitsplatz? Und wie viel kann ich mitbestimmen? Wie gerecht, umweltfreundlich und sozial ein Unternehmen ist, hängt nicht zuletzt von den einzelnen Menschen ab, die dieses gestalten – als Mitarbeiter*innen, Anteilseigner*innen und Konsument*innen. Für mich ist die Genossenschaft Teil der Lösung – für eine sozialökologische Transformation. Und für euch? Schreibt uns!
Noch mehr Stoff zum Thema Wirtschaftsdemokratie:
Stephan Lessenich: Grenzen der Demokratie
Seymour Melman: After Capitalism
Carole Pateman: Participation and Democratic Theory
Video über Mondragon
Titelfoto: CC IG Metall Jugend Bayern
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